Ein Blick hinter die Kulissen der Air-Glaciers-Crew: Wie Technik, schnelle Entscheidungen und perfekte Teamarbeit bei der alpinen Luftrettung zusammenspielen müssen, um in jeder Notlage blitzschnell handeln zu können.
Mia (10) fährt mit voller Euphorie die Piste hinunter, zieht Schwünge in den Schnee, doch dann neigt sich die Piste dem Ende zu. Es wird voller. Plötzlich findet sich Mia in einem Gedränge wieder, muss ausweichen, doch sie ist viel zu schnell. Da: ein Schild vor ihr. Und rums, mit voller Geschwindigkeit fährt sie in das Metallschild hinein, stürzt und schreit laut auf. Auch ohne hinzuschauen, weiss sie, dass irgendetwas nicht stimmen kann, gar nicht sogar. Doch beginnen wir am Anfang des Malheurs.
Es ist ein schöner Wintertag, die Sonne scheint und der Himmel ist klar. Früh am Morgen machen sich Mia und ihre Familie auf den Weg nach Crans-Montana. Der Zug und danach auch das Postauto werden immer voller. An der Talstation angekommen ziehen sie die Skier an und stellen sich in der langen Schlange an. Alle wollen Skifahren, denn die Bedingungen sind mehr als nur perfekt.
Nach langen 25 Minuten Anstehen kann die Familie endlich auf den ersten Sessellift. Alle sind voller Vorfreude und Euphorie. Auf dem Gipfel angekommen, wird noch schnell das Gesicht eingecremt und der Rucksack verstaut, ehe es losgeht. Die Pisten sind perfekt präpariert, der Schnee ist hart, aber nicht eisig und die Rillen glänzen im Sonnenlicht. Alle stossen sich voller Vorfreude mit einem starken Stockstoss ab und ziehen ihre Kurven in den Schnee. Viele Pisten werden ausprobiert, man fährt zuerst auf den blauen, anschliessend auf den roten und schwarzen Pisten. Sie benutzen Gondeln, Sessellifte und Bügellifte. Je länger sie fahren, desto voller wird das Skigebiet. Szenenwechsel.
Früher Morgen auf der Helikopterbasis der Air-Glaciers in Sion. Fredy, der Rettungssanitäter, Michel, der Pilot und Barbara, die Ärztin, treffen nach und nach auf der Basis ein. Michel und Barbara fahren mit dem Auto zur Arbeit. Sie parken auf dem bereits gut gefüllten Parkplatz neben der Basis. Nun besteht kein Zweifel mehr, dass sie auf einer Helikopterstation arbeiten, denn nur fünf Meter von den geparkten Autos entfernt steht ein Helikopter in der Morgensonne. Fredy hingegen ist mit dem Fahrrad unterwegs, er wohnt in Sion. Auch andere Mitarbeiter wie Bergführer, Chef und Leitstellenmitarbeiter treffen nach und nach auf der Basis ein. Bald ist Schichtwechsel, was sich deutlich bemerkbar macht. Die Mitarbeiter haben alle den gleichen Weg. Sie alle müssen zu den Schlafzimmern, um ihre persönlichen Gegenstände zu verstauen: durch den Haupteingang in den noch geschlossenen Fanartikelshop, links eine fast unsichtbare Treppe hinauf, dann links den weissen Gang entlang, bis man vor einer weissen Tür steht, mit mehreren roten Schildern «Zutritt für unbefugte verboten». Durch die von einem Batch entsicherte Tür führt der Weg weiter geradeaus, wo rechts die Schlafzimmer sind. Zügig werden die Taschen und persönliche Utensilien in den Schlafzimmern verstaut, damit während den langen und anstrengenden 28-Stunden-Schichten Pause gemacht werden kann. Doch wie sich bei diesem Wetter schon vermuten lässt, wird es nicht viele Pausen geben. Weiter geht es in den Meetingraum. Es gibt ein kurzes Briefing vom Chef, anschliessend ziehen sich alle um und bereiten die Materialien für die Notfälle vor. Auch weitere Helikopter werden aus dem Hangar, welcher sich unter den Schlafzimmern befindet, gefahren, hinein in die helle Morgensonne. Fredy, Michel und Barbara sind alle mit verschiedenen Aufgaben beschäftigt. Barbara holt die Rettungsrucksäcke aus einem Regal, welches so gross ist, dass es beinahe die halbe Wand der einen Seite des Hangars ausfüllt und kontrolliert sie. Auch die medizinischen prüft sie. «Der Helikopter ist praktisch eine Intensivstation.» Fredy hingegen holt eine kleine Camionette, welche einen Kerosintank auf der Ladefläche hat, und tankt den Helikopter. Michel arbeitet derweilen Protokolle ab und kontrolliert, ob der Helikopter einsatzbereit ist. Als die Arbeit getan ist, gehen sie nach und nach in den Aufenthaltsraum. Ein kurzer Kaffee vor dem ersten Einsatz wäre gut, um so richtig wach zu werden. Trotzdem dauert die Pause nicht lange, denn der erste Einsatz des Tages trifft schon ein. Es geht nach Grimentz, wo eine junge Touristin verunglückt ist. Nach drei weiteren Einsätzen ist eine kurze Mittagspause im Aufenthaltsraum angesagt, Spagetti mit Tomatensosse. Das Essen wird schnell gegessen, denn alle wissen, dass nicht viel Zeit vergehen wird, bis der nächste Einsatz eintrifft.
Gegen Mittag macht die Familie eine Pause am Rande der Piste. Zu voll sind die Restaurants, zu lange die Wartezeiten. Die mitgebrachten Sandwiches werden ausgepackt und der warme Tee wird genossen. Kurze Zeit später geht es wieder voller Energie weiter; leider bleibt das nicht lange so. Kurz vor dem nächsten Bügellift gibt es einen Stau. Und dann passiert es, Mia stürzt. Der bereits geschilderte Unfall nimmt seinen Lauf. Ihre Eltern erstarren zuerst mitten auf der Piste, dann eilen sie zu ihr, voller Panik und in der Hoffnung, dass es nicht allzu schlimm ist. Diese Hoffnung ist jedoch schnell verflogen. Es ist klar, die Verletzung ist schlimmer als erhofft. Mia kann nicht aufstehen und erst recht nicht Ski fahren. Ohne sich abzusprechen, wird klar: Mia braucht Hilfe und muss gerettet werden. Das Handy wird hervorgeholt, die 144 gewählt und der Unfall wird geschildert.
Zur gleichen Zeit auf der Basis: Das Mittagessen ist gegessen, die Stimmung auf der Basis ist gut. Doch schon kommt der nächste Einsatz, es ist jener von Mia.
In der Leitstelle stehen zwei Pulte. Auf beiden Pulten befinden sich drei grosse Computer und sie sind mit vielen Papieren bedeckt. Die Wände der Leitstelle sind verglast, man kann das schöne Wetter und den ganzen Flugplatz überblicken. Die Mitarbeiter schauen sich den Einsatz an. Gemeldet wurde eine vermutete Beinfraktur bei einem 10-jährigen Mädchen in Crans-Montana. Auf einem der Computer auf dem Pult der Mitarbeiter werden die freien Helikopter angezeigt, auf dem zweiten Computer, wo sich die Helikopter befinden und auf dem letzten werden allgemeine Informationen aufgezeigt. Wie so oft ist nur jener Helikopter frei, der sich gerade auf der Basis befindet. Per Funk wird die Crew des Helikopters alarmiert. Michel, Fredy und Barbara machen sich auf den Weg zum Helikopter, sie beeilen sich, denn bis zum Abflug darf es maximal fünf Minuten dauern. Wenn alle im Helikopter sind, wird gestartet. Geschätzte Flugzeit: acht Minuten. Auf dem Weg bereiten sich alle Crewmitglieder individuell auf den Einsatz vor. Fredy sieht die Einsatzstelle als erster. Es befinden sich einige Personen um die Patientin herum: der Pistenrettungsdienst sowie die ganze Familie. Michel teilt seinen Crewmitgliedern mit, dass das Landen auf der Piste nicht möglich ist, zu viele Leute sind am Skifahren. Allerdings können Barbara und Fredy ausgeladen werden. Dafür fliegt der Helikopter so tief wie möglich, etwa einen halben Meter über dem Boden. Barbara und Fredy nehmen alle nötigen medizinischen Geräte mit und eilen zum Patienten, während Michel mit dem Helikopter an einem geeigneten Platz in der Nähe zwischenlandet. Barbara und Fredy kommen bei Mia an. Sie ist aufgrund der starken Schmerzen völlig aufgelöst. Barbara führt die Erstuntersuchungen durch, während Fredy die Skihose von Mia aufschneidet, damit man das Bein besser sehen kann. Allen Beteiligten ist sehr schnell klar, dass es eine schwere Verletzung ist. Der Oberschenkel ist stark geschwollen. Barbara tastet das Bein ab, für sie ist schnell klar, dass der Oberschenkel gebrochen sein muss. Sie verabreicht ein mässiges Schmerzmittel, denn ansonsten wäre der Transport viel zu schmerzhaft für Mia, fast unmöglich. Fredy klärt derweil die Eltern auf: er erklärt ihnen, wohin sie fliegen, was passieren wird und weshalb sie nicht mitfliegen können. Auf allfällige Fragen findet ebenfalls Fredy schnell eine Antwort. Anschliessend ruft Fredy per Funk den Helikopter zurück, damit er die Trage herausnehmen kann. Derweil kontaktiert Barbara das Spital in Sion, damit diese alles für das Eintreffen von Mia vorbereiten können. Nun ist der Helikopter angekommen, die Trage herausgeholt. Anschliessend muss Mia zügig verladen werden, damit der Helikopter nicht lange in der Luft bleiben muss. Mia wird auf die Trage gelegt und festgemacht. Sie kann sich kaum von ihren Eltern verabschieden, die versprechen, dass sie so schnell wie möglich nachkommen. Die Trage wird nun durch die Seitentüre in den Helikopter geschoben und arretiert. Die medizinischen Geräte wie O2-Messer und Kardiogeräte sowie Pulsmesser werden an Mia angeschlossen. Zu guter Letzt bekommt Mia noch einen Pamir aufgesetzt, da es während des Flugs sehr laut wird. Danach fliegt der Helikopter los: Destination Hôpital de Sion. Die Flugzeit ist sehr kurz, 9 Minuten. Gelandet wird auf dem Dach. Wären sie nicht aus einem unerfreulichen Anlass hier, könnte man von hier aus perfekt das wundervolle Panorama der Walliser Berge begutachten.
Fredy und Barbara ziehen Mia aus dem Helikopter, legen sie auf eine Trage und fahren mit ihr zum Lift, welcher sie zur Notfallstation bringt. Dort wird Mia den Ärzten vor Ort übergeben. Für die Helikoptercrew ist der Einsatz hiermit beendet. Während Barbara und Fredy noch Trage und benötigte Materialien reinigen, nimmt Michel per Funk Kontakt mit der Einsatzzentrale auf, um diese zu informieren, dass sie nun zurück auf die Basis fliegen. Auch der Rückflug ist kurz, er dauert nur ungefähr eine Minute. Auf der Basis beginnt der ganze Turnus nun wieder von vorne.
Für Mia hingegen wird es noch einige Zeit und viele Physiostunden dauern, bis sie wieder normal laufen können wird. Bis auch die Helikoptercrew eine nächste Pause haben wird, wird es wohl bis in den späten Nachmittag gehen, denn auch jetzt noch fliegen die Helikopter im fünf Minutentakt von der Basis los oder treffen dort ein.
Ein Gespräch mit Bernard Vogel, CEO der Air-Glaciers. Er erklärt die Herausforderungen der alpinen Luftrettung und warum Technik, Wetter und Menschen perfekt zusammenarbeiten müssen.
Wie sieht dein typischer Arbeitstag als CEO bei der Air-Glaciers aus?
Wenn es am Morgen z.B. eine Geschäftsleitungssitzung gibt, leite ich diese Sitzung. In dieser Sitzung tauschen wir uns aus und sprechen über die Themen, die gerade anstehen. Wir reden dann über die einzelnen Bereiche, wie weit die Projekte fortgeschritten sind, wo es Verbesserungspotenzial gibt und welche Erfolge bzw. Misserfolge es mit Kunden gab. Auch wird die Personalsituation angeschaut, also z.B. ob jemand im Urlaub oder krank ist und wie es mit den Überstunden aussieht. Am Nachmittag komme ich oft mit externen Behörden jeglicher Art zusammen, führe Mitarbeiter-, wenn nötig auch Kundengespräche oder bereite mich auf sonstige Aufgaben vor. Allerdings gestalten sich meine Arbeitstage sehr unterschiedlich und nie gleich.
Wie und durch wen wird die Helikoptercrew von einem Einsatz informiert?
Der Notruf trifft in der Sanitätsnotrufzentrale 144 [KWRO, kantonale Walliser Rettungsorganisation, A.d.Rd.] ein. Dort wird entschieden, welches Mittel eingesetzt werden muss, um den Patienten zu retten. Nach dem Entscheid, den Helikopter einzusetzen, werden noch während des Notrufs Informationen auf die Einsatzhandys der jeweiligen Helikoptercrew geschickt. Die Crew bekommt also einen Alarm und weitere Informationen auf das individuelle Einsatzhandy. Zusätzlich geht noch ein weiterer Alarm an die Einsatzleitung. Nach dem Eintreffen des Notrufs macht sich die Crew abflugbereit. Wenn es noch zusätzliche Informationen gibt oder die Crew weitere Informationen braucht, ruft das KWRO die Einsatzleitung an, welche das dann an die Crew weitergibt. Über das Einsatzhandy gibt es für die Crew zusätzlich die Möglichkeit, während des Fluges weitere Informationen zu bekommen.
Woher weiss der Pilot, wohin er fliegen muss?
Erstens sind da die nötigen Kenntnisse der Geografie wichtig. Durch das Einsatzhandy bekommt der Pilot auch die Koordinaten des Unfalls und weiss daher, wo sich der Patient gerade befindet. Diese gibt er in ein Navigationssystem des Helikopters ein, das sogenannten Moving Terrain. Dies macht er aber meistens nur, wenn er an einen für ihn eher unbekannten Ort fliegen soll.
Wer entscheidet, welcher Helikopter an welchen Einsatz fliegt?
Das ist grundsätzlich die Einsatzleitung, welche das entscheidet. In der Regel bietet das KWRO direkt den Helikopter auf, welcher sich am nächsten zu der Unfallstelle befindet. Das KWRO weiss aufgrund des Trackingsystems Rescue Track, wo sich welche Helikopter befinden. Es weiss jedoch nicht, ob ein Helikopter z.B. gerade eine technische Kontrolle durchläuft oder die Crew am Retablieren ist, also nicht einsatzbereit ist. Daher ist die Einsatzleitung bei der Alarmierung auch sehr entscheidend.
Gibt es spezifische Helikopter für spezielle Einsätze?
Man kann alle Helikopter für alle Einsätze verwenden, aber grundsätzlich sind die primären Rettungshelikopter die zweimotorigen Rettungshelikopter.
Wie viele Einsätze fliegt ihr in der Hochsaison pro Tag?
Bis zu 40 Einsätze.
Bis zu 40 Einsätze?
Ja, wenn man alle Basen zusammenrechnet, kommen wir bei der Air-Glaciers auf bis zu 40 Einsätze pro Tag.
Wie wird entschieden, ob auf der Skipiste gelandet wird oder ob es eine Windenrettung braucht?
Auf der Piste ist immer ein Pistenpatrouilleur an der Unfallstelle. Alle Patrouilleure haben zu Beginn jeder Saison einen kleinen Kurs mit uns, wo wir mit ihnen wiederholen, worauf sie bei einer Helikopterrettung achten müssen. Das wären z.B. Kriterien wie die Steilheit des Geländes, die Befahrbarkeit der Pisten etc. Der Kurs soll ihnen ermöglichen, dass sie eine Grobanalyse machen und Empfehlungen abgeben können. Letztlich entscheidet aber immer der Pilot, ob er landen will oder nicht. Was passiert während des Flugs mit dem Patienten?
Während des Flugs wird der Patient ständig überwacht. Die Vitalfunktionen werden sichergestellt und kontrolliert, je nach Schweregrad ist es aber unterschiedlich.
Könntest du ein Beispiel nennen?
Wenn jetzt z.B. jemand den Unterarm gebrochen hat, liegt der Fokus natürlich darauf und es wird geschaut, dass dieser gut fixiert ist. Wichtig ist auch immer, dass geschaut wird, dass dem Patienten nicht schlecht wird. Falls es doch zu Übelkeit kommen sollte, würde dann auch schnell gehandelt werden, indem z.B. entsprechende Medikamente verabreicht werden. Wenn eine Person eine schwerere Verletzung hat, kontrolliert man auch weitere Werte, da dort die Gefahr für einen Zwischenfall grösser ist.
Welche Notfallmassnahmen könntet ihr im Notfall während des Fluges machen?
Eine Reanimation mit Herzmassage könnten wir theoretisch während des Fluges machen, da die Herzmassage nicht nur von einem Arzt, sondern von einer Maschine durchgeführt werden kann. Allerdings versucht man, solche Notfallmassnahmen, wenn immer möglich, während des Fluges zu vermeiden.
Was wird von der Helikoptercrew während der Patientenübergabe an den Spital gemacht?
Sie übergeben den Patienten an die Crew im Notfall des Spitals. Dort gibt es einen sogenannten Übergaberapport, bei dem der Mediziner dem anderen Mediziner erklärt, was er gemacht hat, welche Medikamente er gegeben hat etc. Sobald das passiert ist, geht die Crew wieder zurück in den Helikopter.
Und dann gehen sie wieder zurück auf die Basis, desinfizieren alles, füllen die benötigten Materialien wieder auf und sind dann wieder bereit für den nächsten Einsatz?
Jawohl, genau. Das ist das sogenannte Retablieren, welches auf der Basis passiert.
Sind die Einsatzkräfte während der Hochsaison auch manchmal auf der Basis oder sind sie praktisch immer unterwegs?
Es gibt Tage, an denen sie permanent unterwegs sind. Das sind aber sehr wenige Tage und das ist von Tag zu Tag sehr unterschiedlich.
Wie wird sichergestellt, dass die rechtlich vorgeschriebenen Pausezeiten der Piloten eingehalten werden?
Dafür ist der Pilot selbst verantwortlich. Der Pilot muss am Ende des Tages immer einen Rapport über seine Flugzeiten erstellen, welche dann natürlich auch stimmen muss. Der Pilot muss von sich aus sagen, wenn er eine Pause machen muss.
Wie verhält es sich beispielsweise bei einem Nachteinsatz?
Grundsätzlich gilt: wenn der Pilot einen Nachteinsatz hat, welcher länger als drei Stunden dauert, muss er anschliessend sechs Stunden Pause haben. Wenn z.B. eine Crew einen Nachteinsatz hat, welcher um 00:00 Uhr beginnt und bis um 04:00 Uhr dauert, muss der Pilot anschliessend bis um 10:00 Uhr Pause machen. Der Pilot informiert seine Crew oder die nachfolgende Crew, dass er bis um 10 Uhr nicht mehr fliegen wird. Dann ist es die Aufgabe der Einsatzleitung, mithilfe des Chefpiloten dafür zu sorgen, dass während dieser Zeit ein Ersatzpilot den Helikopter fliegt. Der Mitarbeiter ist immer selbst für die Einhaltung seiner Dienstzeit verantwortlich.
Wie sind die Einsatzgebiete der Air-Glaciers geregelt?
Im Wallis haben die Air Zermatt und die Air-Glaciers ein Mandat vom KWRO. Das KWRO entscheidet bei einem Notruf nach dem «Next Best»-System. Dieses besagt, dass die nächste am Einsatz liegende Crew für den Einsatz aufgeboten wird. Wenn allerdings alle Helikopter in der Nähe schon mit einem Einsatz beschäftigt sind, dann kann es auch mal vorkommen, dass z.B. für einen Einsatz im Goms eine Crew aus Sitten aufgeboten wird.
«Der Klimawandel wird zukünftig zusätzliche Unfälle produzieren.»
Gibt es ein Konzept hinter den Standorten der Basis?
Das ist die Reglementierung der Aviatik, welche entscheidet, wo sich die Basen befinden. Früher war das noch anders. Damals hatte man einfach irgendwo eine Helikopterbasis gebaut. Seit 1998 gibt es den «Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt». In diesem ist vermerkt, wo die luftfahrtrelevanten Gebäude sein dürfen, also wo z.B. ein Flugplatz und wo eine Helikopterbasis sein darf. Deswegen würde man heutzutage wahrscheinlich in der ganzen Schweiz nur noch zwei bis drei Helikopterbasen bauen dürfen. Somit kann man sagen, dass die Standorte der Basen geschichtlich entstanden sind und ca. seit den 90er-Jahren ist es auch reglementiert, sodass man nicht mehr nach Lust und Laune eine Basis bauen kann.
Lohnt es sich noch, sich nur durch Rettungsflüge zu finanzieren?
Nur Rettungsflüge zu machen, lohnt sich finanziell nicht.
Nicht?
Nein.
Wie finanziert man sich den sonst?
Indem man Gönnerbeiträge durch die Rettungskarte der Air-Glaciers hat und indem man die Gemeinkosten auf verschiedene Kostenstellen abwälzen und verteilen kann.
«Es gibt Tage, an denen die Crew durchgehend unterwegs ist.»
Gibt es durch den Klimawandel Veränderungen?
Der Permafrost liegt heute höher als noch vor einigen Jahren. Dadurch ist die Steinschlaggefahr in den Bergen enorm gestiegen. Somit kann es immer mehr Steinschlag-Unfälle geben.
So geben sich durch den Klimawandel mehr Einsätze?
In den Statistiken ist das nicht ersichtlich. Es gibt sehr grosse Schwankungen von einem Jahr zum anderen. Das hat allerdings nicht sehr viel mit dem Klimawandel zu tun, sondern mit dem Wetter. Schöne Wetterperioden führen zu mehr Unfällen, schlechte Wetterperioden zu weniger. Aber man kann sagen, dass der Klimawandel zukünftig zusätzliche Unfälle produzieren wird.
Es gibt in der heutigen Zeit auch innovative Veränderungen wie z.B. den Autopiloten. Ist das bei der Air-Glaciers auch ein Thema?
Unsere EC-135 haben eine Autopilotfunktion installiert. Allerdings ist das in unserer Gegend nicht sinnvoll. Der Autopilot ist sinnvoll von Flugplatz zu Flugplatz, also auf festgelegten Routen. Wenn man aber neben den Routen fliegt, muss man auf Sicht navigieren. Da muss man wissen, wo man ist und wo man durchfliegen will.
Merci vielmals für das Gespräch.
Bitte, gern geschehen.
Ein Interview mit Dr. med. Christian Waldherr, Radiologe auf der Notfallstation im Lindenhofspital Bern. Er erklärt, wie moderne Bildgebung, klare Kommunikation und perfekt abgestimmte Abläufe dabei helfen, Leben zu retten.
Könnten Sie uns etwas über Ihren medizinischen Werdegang erzählen?
Gerne! Eigentlich habe ich mich spät entschieden, Medizin zu studieren. Mein erster Kontakt mit der Medizin war während meiner Zeit bei der Armee, als Sanitäter. Das war für mich der Moment, in dem ich mich zum ersten Mal intensiv mit dem medizinischen Bereich auseinandergesetzt habe: Es hat mich sofort begeistert! Ich war damals auch im Armeekrankenhaus und habe dort gesehen, wie viel Einfluss die Medizin auf das Leben von Menschen haben kann.
Bei einem medizinischen Notfall zählt jede Sekunde. Wie läuft eine typische
Notfallversorgung nach einem Unfall ab?
Die Notfallärztinnen und -ärzte vor Ort müssen zunächst einschätzen, wie schwer der Patient verletzt ist. Könnte er innerlich bluten oder ein Körperteil verloren haben? Priorität hat die Sicherung der Vitalfunktionen: Atmet er? Schlägt sein Herz? Ist der Kreislauf stabil? Falls nicht, müssen sofort Wiederbelebungsmaßnahmen wie Beatmung und Herzdruckmassage eingeleitet werden. Gleichzeitig muss eine starke Blutung gestoppt werden, denn ohne ausreichende Durchblutung helfen auch andere Maßnahmen nicht. Sobald der Patient stabilisiert ist, bekommt er, falls nötig, Flüssigkeit, Plasma oder Medikamente, um den Kreislauf weiter zu unterstützen. Dann folgt die Entscheidung über den Transport, reicht ein Rettungswagen oder ist ein Helikopter nötig? Die endgültige Versorgung erfolgt im Spital, doch bis dahin zählt jede Sekunde!
Nach der ersten Versorgung ist demnach eine präzise Diagnose entscheidend, um die nächsten Schritte festzulegen. Welche diagnostischen Methoden kommen nach der Rettung zum Einsatz, um die Situation richtig einzuschätzen?
Im Rettungswagen geht es darum, den Patienten zu stabilisieren und möglichst zügig eine Klinik zu erreichen. Der Notfallarzt oder die Notfallärztin beginnt sofort, den Patienten zu untersuchen: Puls tasten, Kontakt aufnehmen, die Atmung prüfen. Parallel dazu werden die Vitalfunktionen überwacht. Der Herzschlag durch ein EKG, die Atmung über die Sauerstoffsättigung usw. Hat der Patient keinen Herzschlag, kommt der Defibrillator ins Spiel. Mit einem gezielten Stromstoss das nicht sofort funktioniert, gibt man Adrenalin, um das Herz zu sensibilisieren. Und wenn auch das nicht ausreicht, setzt man die Herzdruckmassage fort, mit dem Ziel, das Leben zu retten. Jeder Schritt ist entscheidend, jeder kennt seine Aufgabe und das Ziel von allen ist, den Patienten zu stabilisieren und ihm damit die bestmögliche Chance auf Überleben geben.
Als Facharzt arbeiten Sie in der Radiologie. Wie kann die Radiologie helfen, innere Verletzungen schnell zu erkennen?
Bei schweren Verletzungen ist es wichtig, schnell herauszufinden, welche Organe bluten oder schwer verletzt sind. Zunächst wird mit Ultraschall geprüft, ob es akute Blutungen im Bauchraum gibt. Ist der Patient stabil, folgt ein CT-Scan, der den gesamten Körper auf Brüche, Blutungen oder Pneumothorax untersucht. Das CT zeigt genau, wo der Patient schwer verletzt ist. So kann entschieden werden, was und in welcher Reihenfolge behandelt werden muss.
«Die größte Motivation ist der Dank der Patienten.»
Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Rettungskräften und Notärzten in der Klinik?
Bei der Ankunft im Spital übernimmt der leitende Notfallmediziner das Kommando. Der Notarzt aus dem Hubschrauber übergibt den Patienten mit allen wichtigen Informationen zu den Vitalfunktionen und bisherigen Massnahmen. Im Schockraum übernimmt das Team: Ein Anästhesist, Chirurg, Radiologe und Notfallpflegepersonal sind bereit. Der Radiologe prüft mit Ultraschall oder CT, um die Verletzungen des Patienten zu erkennen. Der leitende Notfallmediziner entscheidet, welche Massnahmen zur Stabilisierung und weiteren Untersuchung notwendig sind. Jeder Schritt wird genau geplant, um schnell herauszufinden, welche lebensbedrohlichen Verletzungen vorliegen und wie der Patient weiter behandelt werden soll.
Welche neuen Technologien haben die Notfallversorgung verbessert und welche Entwicklungen sehen Sie für die Zukunft?
Die Radiologie hat die Notfallversorgung enorm verändert. Früher war man oft auf Abtasten und genaues Beobachten angewiesen. Als ich vor 25 Jahren nach Burgdorf kam, hätte man bei unklaren Bauchschmerzen niemals sofort ein CT gemacht. Da hieß es oft noch: „Wir schauen mal rein“ und entschieden uns für eine Operation. Heute ist das ganz anders. Das Notfall-CT und der Ultraschall sind mittlerweile unverzichtbar. Es gibt uns sofort eine präzise Übersicht, ohne invasiv eingreifen zu müssen. Ob Blutungen, Organrisse oder Pneumothorax, dank Ultraschall und CT wissen wir schnell, was zu tun ist. Besonders bei polytraumatisierten Patienten gehen diese direkt ins CT, um alles Wichtige auf einen Blick zu sehen und dann gezielt zu handeln. In Zukunft werden die bildgebenden Verfahren noch schneller und präziser, sodass wir noch gezielter und effektiver eingreifen können.
Welche Schwierigkeiten treten bei Notfällen häufig auf?
Die größte Schwierigkeit ist, wenn der Patient nicht ansprechbar ist und keine Zeugen da sind, die erklären können, warum er bewusstlos ist. Dann steht man vor einer Black Box, du weißt nicht, was passiert ist und kennst die Vorgeschichte des Patienten nicht. Ein weiteres Problem sind Sprachbarrieren. Wenn ich mich mit dem Patienten nicht verständigen kann, wird es extrem schwierig, herauszufinden, was los ist. In der Medizin ist Kommunikation entscheidend, sowohl mit dem Patienten als auch im Team. Es ist, als würde man ein Puzzle lösen, nur eben unter Zeitdruck.
Wie kann man sich am besten auf solche kritischen Fälle vorbereiten?
Heutzutage gibt es eine Vielzahl von Kursen, die speziell auf Notfälle vorbereiten. Aber am wichtigsten ist die Erfahrung. Je mehr man gesehen hat, desto sicherer wird man. Junge Ärzte werden immer von erfahrenen Ärzten angeleitet und es gibt selten Situationen, in denen man völlig alleine ist. Bevor man alleine in der Notfallstation oder im Rettungswagen arbeitet, musst man diverse Kurse machen. Ein Beispiel ist der „Advanced Trauma Life Support“ -Kurs, bei dem man alles von Grund auf lernt.
«Du kannst Leben retten.»
Welche Maßnahmen können helfen, Unfälle zu vermeiden oder das Verletzungsrisiko zu minimieren?
Heutzutage gibt es eine Vielzahl von Sicherheitsgesetzen, die die Unfallrate gesenkt haben. Auf Baustellen sind Schutzhelme, spezielle Schuhe und Sicherheitskleidung Pflicht. Früher, als ich noch ein Kind war, gab es keine Sicherheitsgurte im Auto, heute ist das undenkbar. Die Einführung von Sicherheitsgurten und Helmpflicht beim Motorradfahren hat die Zahl der schweren Verletzungen enorm verringert. Auto-Unfälle, die früher fatale Folgen hatten, enden heute dank besser gebauten Autos und den obligatorischen Sicherheitsvorkehrungen oft mit weniger schweren Verletzungen. Aber auch in Risikosportarten wie Mountainbiking oder Reiten hat sich viel getan, heute tragen Sportler spezielle Schutzkleidung wie Rückenpanzer, was die Schwere der Verletzungen stark reduziert. Diese Fortschritte in der Prävention machen sich in den Notaufnahmen bemerkbar, wo wir heute weniger extreme Verletzungen sehen als noch vor Jahren. Ein echter Fortschritt durch Prävention.
Was motiviert Sie, jeden Tag aufzustehen und zur Arbeit zu gehen?
Die größte Motivation ist der Dank der Patienten. Du bekommst eine direkte Anerkennung für deine Arbeit, etwas, das du in kaum einem anderen Beruf erlebst. Es ist unglaublich erfüllend zu wissen, dass du durch deine Arbeit wirklich einen Unterschied machst. Du kannst Leben retten, Menschen heilen, was dir eine tiefe Erfüllung gibt. Natürlich ist es ein Beruf mit enormer Verantwortung. Hier gibt es keinen Raum für Fehler, denn ein Fehler kann das Leben eines Menschen kosten. Die Konsequenzen sind sofort spürbar, und das treibt dich an, immer präzise und fokussiert zu arbeiten. Fehler sind Teil des Lernprozesses, auch ich mache noch Fehler, aber mit der Erfahrung sinkt die Zahl. Ich bekomme viel positives Feedback von meinen Kollegen und Patienten, was mir jeden Tag aufs Neue Freude bereitet. Viele Menschen gehen nicht gerne zur Arbeit, weil sie keinen Sinn mehr darin sehen. Als Mediziner ist das für mich unvorstellbar, nach der anstrengenden Anfangszeit weiß man, warum man diesen Job macht und das gibt dir jeden Tag aufs Neue Kraft.
Welche Botschaft möchten Sie den Leser: innen mitgeben?
Auch nach vielen Jahren Arbeit im Gesundheitswesen, gefällt mir dieser Beruf weiterhin sehr. Er fordert viel, gibt einem aber auch viel zurück. Ich kann Gesundheitsberufe nur empfehlen, sie sind sinnig, anspruchsvoll, erfüllen und machen einen Unterschied.